Langzeitreisende

25-08-2018

Vorweg:
Wir denken, es ist ein seltenes Privileg, überhaupt (für lange Zeit) reisen zu können. Wir sind extrem dankbar für unsere fantastische Lebensituation, die uns das ermöglicht. Die bolivianische Verkäuferin, bei der wir frisch-gepressten Orangensaft kaufen, sitzt mindestens 12 Stunden pro Tag an ihrem Stand und das Geld, was sie dabei verdient, reicht – wenn überhaupt – gerade fürs Nötigste. Sie wird nie die Gelegenheit haben, auch nur für ein paar Wochen ins Ausland zu reisen. Wir ärgern uns, wenn westliche Touristen, die das Zehnfache an Geld haben, mit ihr um 0,50 Cent feilschen. Wir in den reichen westlichen Ländern haben ein extrem hohes Maß an selbstbestimmter Zeit, wie es das kaum sonst auf der Welt gibt!

Unterwegs begegnen wir vielen anderen Reisenden. Sobald wir vom allgemeinen Pancake-Trail bzw. Gringo-Trail abweichen, sind fast alle Langzeit-Reisende. Als wir anfangs den Leuten erzählt haben, dass wir 1 Jahr reisen werden, hat uns keiner ernst genommen. Das hat sich nach ca. einem halben Jahr geändert.

Unter den Langzeit-Reisenden gibt es auffällig viele alleinreisende Frauen, sowohl in Asien, als auch in Südamerika. Außerdem treffen wir viele „Freiwillige“, d.h. Leute, die unbezahlt in Hostels arbeiten und dafür Kost und Logis bekommen. In Neuseeland arbeiten viele auf Farmen, um sich die Reise dort zu finanzieren. Viele Hostel-Besitzer waren früher selbst Langzeit-Reisende.

Wir haben bisher folgende Typen von Reisenden kennengelernt:

Aussteiger: Leute, die sich von der westlichen Gesellschaft losgesagt haben. Sie reisen für eine unbestimmte Zeit und suchen nach einer alternativen Heimat. Viele Hostel- und Restaurantbesitzer gehören zu dieser Gruppe. Hierzu zählen wir auch diejenigen, die im Ausland geheiratet haben und jetzt mehr oder weniger gut integriert dort leben.

Umorientierer: Leute, die ihren Beruf nicht mehr ausüben wollen und eine Auszeit nehmen, um sich etwas neues zu überlegen. Die meisten berichten, dass das aber nicht klappt. Denn sie gewinnen zwar Abstand, aber was neues organisieren kann man vermutlich besser in der Heimat nach der Reise.

Eskapisten: Leute, die es genießen, vorübergehend in eine andere Welt abzutauchen. Sie möchten dabei möglichst ungestört abtauchen. Eskapisten müssen nicht unbedingt reisen, sondern man trifft sie auch in der Heimat, wenn sie in der Welt von Büchern, Fernsehserien oder Computerspielen leben.

Digitale Nomaden: Sie reisen gerne und lange, bleiben aber mit der Heimat verbunden, arbeiten unterwegs und managen die Anliegen zu Hause aus der Ferne, z.B. Betreiber von professionellen Reiseblogs.

Expats: Leute, die für ein paar Jahre im Ausland arbeiten. Sie fallen uns dadurch auf, dass sie weder zu den Reisenden, noch zu den Einheimischen gehören. Meist sind sie unter sich – ohne großen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Sie gehen in spezielle Restaurants, die für die „Locals“ zu teuer sind. Sie kennen sich viel besser mit der lokalen Kultur aus, sind aber oft auch recht negativ.

Feierer und Fantasialand-Besucher: Den Feierern geht es überwiegend ums Party-Machen und um Paarungsrituale, während die Fantasialand-Besucher von einer touristischen Hochburg zur nächsten reisen und immer das Gleiche machen. Beide Gruppen sind kaum an den Sehenswürdigkeiten oder den Leuten im jeweiligen Land interessiert. Diese Art zu reisen lehnen wir ab, denn dann kann man auch zu Hause bleiben.

Langzeiturlauber: Sie haben einfach Spaß am Reisen und sind neugierig auf die Welt. Das Leben zu Hause ist aber vollkommen in Ordnung und sie freuen sich genau so auf ihr Zuhause. Davon haben wir nur ein einziges Pärchen getroffen.

Wir ordnen uns so ein: Sabrina ist eine Umorientiererin, Martin ein digitaler Nomade. Wir sind übrigens die einzigen, die nur mit 8kg Gepäck pro Person reisen. Alle anderen, die wir getroffen haben, tragen 16-20kg Gepäck mit sich herum.

Besonders beeindruckt haben uns folgende Reisende:

Cloud9, ein englisches Rentner-Paar, die einen alten Militärtruck umgebaut haben und nun für die nächsten Jahre damit umherreisen. Der Truck ist so durchdacht, dass es sogar eine eigene Waschmaschine, Solarzellen auf dem Dach, eine vollausgestattete Küche, 500L Frischwassertank u.ä. gibt. Das Duschwasser wird wahlweise mit Strom, Gas, Diesel oder der Abwärme des Motors geheizt. Wir sind sehr beeindruckt.

Bob, ein 70 Jahre alter Berater der NASA und Luftfahrtindustrie aus USA. Er arbeitet teilweise immer noch. Er hat eine Sammlung von Harley-Davidsons und mit einer davon ist er in Südamerika unterwegs. Auf unserer Tour nach Tiwanaku sorgt er durch sein fröhliches Wesen für Stimmung. Er hält über facebook Kontakt zu seinen Freunden und Bekannten. „It’s a blast!“, „WOW, how beautiful!“. Wenn sie ihn nicht für einen Beraterjob anrufen, ist er in der Welt unterwegs.

Vincent und Jeremy aus Frankreich, die für zwei Jahre mit Fahrrad und Zelt von Kanada nach Südargentinien fahren. Sie sind ausgesprochen nett und beeindrucken uns damit, was sie alles auf sich nehmen.

Heike, eine alte Schulfreundin von Martin. Was für eine außergewöhnliche Gelegenheit: Sie ist die einzige, die uns auf unserer Reise erlebt und wir, (bis auf ihre Kinder) die einzigen, die sie in Bolivien erleben. Sie kann uns viel über die bolivianische Gesellschaft erzählen, was wir andernfalls nie erfahren hätten.